Fotograf in Wien - Seirer Photography für Veranstaltungen, Portraits und Architektur

View Original

Wie man Potemkinsche Dörfer fotografiert - ein Fotoband von Gregor Sailer

Der Bucheinband von “The Potemkin Village” von Gregor Sailer zeigt ein modernes Gebäude mit Stahl und spiegelnder Verglasung. Reflektierter blauer Himmel und Wolken dominieren das Erscheinungsbild. Erst bei genauerem Hinsehen bemerkt man, dass hie und da Fetzen einer Plane herunterhängen und Einblick in die dahinter versteckte Hochhausruine freigeben. Der Fotograf nahm sich das Thema Fake als Ausgangspunkt und recherchierte: Wo sind heute reale Beispiele dafür zu finden? Lässt sich das Thema über die klassische Architektur noch erweitern? Sein aus diesen Recherchen enstandenes Buch stellte er in der Albertina vor und gab in einem Gespräch mit Judith Lehner (Architektin & Stadtforscherin) und Walter Moser (Leiter Fotosammlung der ALBERTINA) weitere Einblicke in seine Arbeitsweise und Ideen.

Gregor Sailer im Gespräch mit einem Gespräch mit Judith Lehner (Architektin & Stadtforscherin) und Walter Moser (Leiter Fotosammlung der ALBERTINA)

Das Potemkinsche Dorf

Das Potemkinsche Dorf - ein bekannter Mythos, in dem der russische  Feldmarschall Reichsfürst Grigori Alexandrowitsch Potjomkin Zarin Katharina II. bei einem Besuch in dem von ihm eroberten Neurussland beeindrucken wollte, in dem er bemalte Kulissen von Häusern aufstellen ließ um den tatsächlich maroden Zustand der Gegend zu kaschieren.

Durch viel Recherche im Internet fand Gregor Sailer passende Orte für sein Projekt. Es bedurfte aber oft monatelanger Vorbereitungszeit und Kommunikation, um entsprechende Besuchserlaubnisse zu erhalten. Diese Phase hat kaum etwas mit Fotografie, sondern vielmehr mit journalistischer Tätigkeit zu tun. Gregor Sailer wurde aber trotzdem von seinen Kommunikationspartnern als Künstler betrachtet und erhielt damit mehr Freiheiten. Beachtenswert ist, dass viele der Orte (militärisches) Sperrgebiet sind. Die unzähligen  gescheiterten Versuche und Sackgassen eine Bewilligung zu bekommen, kommen im Buch aber  so nicht vor. 

Fakes und Kulissen in der ganzen Welt

Die gezeigten Plätze qualifizieren sich auf höchst unterschiedliche Weisen für das Projekt. In Russland zeigt er in Planen gehüllte Fabrikruinen und Häuser, die einen wesentlich besseren Zustand vortäuschen sollen. Manche wurden dabei über die Zeit vom Verfall schon heimgesucht, manche wirken noch relativ realistisch und nur bei genauem Hinsehen kann man kleine Fehler in der Täuschung ausmachen.

Die beiden Städte Carson City und AstaZero in Schweden bestehen nur aus Plakatwänden und erzeugen mit fast abstrakt wirkenden grafischen Häusern (Carson City) bis zu fotorealistischen Abbildungen von Geschäften (AstaZero) die Illusion eines kleinen Ortes. Gebaut wurden sie für Fahrtechniktrainings. 

Schweden, Carson City, © Gregor Sailer, Courtesy Kehrer Galerie

Eine ganz andere Nutzung war für die Orte “German Town”, “Holland Town”, Swedish Town” oder “Thames Town” in China angedacht. Hier wurden tatsächlich vollwertige Gebäude der jeweiligen europäischen Architektur nachgebaut - inklusive Sakralbauten, Windmühlen und künstlichen Flüssen. Dieser bewusst geschaffene Wohnraum hat sich aber nicht durchgesetzt. Es fehlt an Infrastruktur und sind zu weit von anderen Städten weg. Damit verkommen sie zu Geisterstädten und es werden dort im besten Fall noch Selfies während des Wochenendausflugs gemacht. Menschen inszenieren sich somit in der Inszenierung. Der Nachbau von Hallstatt ist übriges, auf Grund seines Bekanntheitsgrades, nicht im Buch vertreten. 

China, Thames Town, © Gregor Sailer, Courtesy Kehrer Galerie

China, Thames Town, © Gregor Sailer, Courtesy Kehrer Galerie

In den Vereinigten Staaten sind es militärische Übungsstädte, die meist in “arabischen Stil” erbaut wurden: mit Moscheen, Schildern mit arabischen Schriftzeichen etc. Diese dienen dem militärischen Trainings des Häuserkampfes. 

USA, Junction City, © Gregor Sailer, Courtesy Kehrer Galerie

USA, Tiefort City, © Gregor Sailer, Courtesy Kehrer Galerie

Das Fotobuch zum Projekt

Gregor Sailer bedient sich bei seiner Fotografie einer analogen Fachkamera. Seine Bilder zeichnen sich durch einen stark dokumentarischen, geradlinigen Stil aus. Aufnahmen aus der Zentralperspektive von einzelnen Gebäuden werden mit Übersichtsaufnahmen ganzer  Straßenzüge kombiniert. Auffällig ist, dass fast alle Fotografien bei bedecktem Himmel gemacht wurden. Dies gewährleistet einen stringenten Stil im Buch und wurde auch ganz bewusst so vom Künstler geplant. Im Gespräch betonte er, dass er dieses bedeckte Licht besonders mag und hauptsächlich in den Wintermonaten arbeitet. Nur so erreiche man klare, ruhige Architekturaufnahmen. Je mehr Schlagschatten, desto unruhiger das Foto. Die Fachkamera zwinge ihn außerdem zur bewussteren Fotografie und so entstanden auch oft nur wenige Aufnahmen vor Ort, da vor allem in militärischen Sperrgebieten ein strikter Zeitplan vorgegeben war. Das fast völlige Fehlen von Menschen in seinen Fotografien überspitzt das Surreale der Kompositionen nur noch weiter. Die entstandenen Fotos wurden in einem Fotoband vereint und im Kehrer Verlag herausgegeben. Inhaltlich wurden sie dabei nach Orten gruppiert. Zusätzlich vervollständigen drei Essays das Buch.

Fazit

Die Fotografien von “The Potemkin Village” zeigen auf seltsam bedrückende Art die grotesken Auswüchse unserer Gesellschaft. Die gebauten Fakes mit unterschiedlichsten Nutzungsszenarien werden auf einheitliche Art und Weise fotografiert und fügen sich so nahtlos in eine außergewöhnliche Fotoserie ein. Ein ausgiebiger Blick in das Buch ist jedenfalls notwendig, da sich viele Bilder nicht auf den ersten Blick erschließen. Wer sich die Zeit nimmt, wird dabei jedoch sicherlich belohnt.

Folgende Artikel könnten ebenfalls interessant sein:

See this gallery in the original post